Typisch Frau, Typisch Mann – Entwicklung der Geschlechterrollen?

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Wer kennt sie nicht, die festgefahrenen Stereotypen in der Geschlechterrolle. Doch wie weit haben wir uns tatsächlich als Gesellschaft und damit die Rollenbilder weiterentwickelt? Reicht dies aus für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft und den technologischen Fortschritt? So vielfältig und einzigartig wie die Berufswege sind, so unvoreingenommen sollte die Erkundung und Förderung von Jugendlichen in der Berufswahl sein dürfen.

Zusammen mit Patricia Palffy vom Leading House Berufsbildungsökonomie an der Universität Zürich, hat Yousty im Rahmen eines spannenden Experiments wichtige Erkenntnisse gewinnen können. In diesem Blogbeitrag teilen wir die Ergebnisse und nützliche Tipps rund um das Thema geschlechtstypischen Berufswahlentscheidungen und wie man das andere Geschlecht für den eigenen Lehrberuf gewinnen kann.

In diesem Blog-Beitrag:

Quelle: YouTube 2022

Was sind typische Frauenberufe?

Es gibt Berufe, die praktisch vollständig in Frauenhand sind und um die Männer einen Bogen machen. Dazu gehören z.B. Fachmann/-frau Gesundheit (FaGe), Medizinische Praxisassistent:in, Hebamme, Fachmann/-frau (FaBe) Kinder oder Coiffeur:in.

Was sind typische Männerberufe? 

Männer ergreifen oft handwerkliche Berufe oder solche, die ihnen Karriere- und Lohnaussichten bieten. Hierzu zählen z.B. Automechaniker:in, Maler:in, Fleischfachmann/-frau, Landwirt:in, Logistiker:in. Rollenprägend für Männer ist nach wie vor wettbewerbsorientiert zu sein und sich einer Wettbewerbssituation auszusetzen.

Eine Ausnahme bilden die kaufmännischen Berufe, die bei beiden Geschlechtern beliebt sind.

Frame 7 (1) 1 (4)Abbildung 1: Top Ten Berufsskala nach Geschlecht (Quelle: Eigene Darstellung)

Worin liegen die Unterschiede?

Der Gap zwischen den Geschlechtern liegt nicht etwa in der fehlenden Kompetenz oder dem fehlenden Interesse eines Geschlechts. Dass Frauen weniger in technische, männerdominierte Berufsfelder gehen, liegt unter anderem auch daran, dass sie den Wettbewerb mit Männern scheuen. Neuere Forschungsergebnisse aus der Verhaltensökonomik und der psychologischen Ökonomik weisen darauf hin, dass Frauen dazu neigen, ihre Fähigkeiten tendenziell zu unterschätzen und weniger risikobereit sind. Hinzu kommt, dass Charakteristiken wie Durchsetzungsvermögen und Dominanz, die in diesem kompetitiven Umfeld für Erfolg sorgen, immer noch als männlich wahrgenommen werden. Frauen, die sich gegenüber ihren männlichen Mitstreitern durchsetzen, werden tendenziell als “unweiblich” wahrgenommen, auch sind sie stärker von negativen Feedbacks betroffen als Männer und somit auch der Gefahr von Mobbing mehr exponiert. Dies hat zur Folge, dass “männliche” Berufe seltener von Frauen gewählt werden. (Quelle: Buser et al. (2017),  Die Volkswirtschaft)

Was bedeutet das? Welche Risiken oder Chancen ergeben sich daraus?

Für Männer haben soziale Normen derart starke Effekte, dass mit der kurzen Infomassnahme für Gesundheits- und Pflegeberufe noch keine Änderungen bewirkt werden konnten. Geschlechtstypische Berufswahl bei Männern bleibt wegen der sehr starken sozialen Geschlechternormen weiterhin eine Knacknuss.  Dadurch, dass die Geschlechterstereotypen über Jahrzehnte praktiziert und weitergegeben wurden, braucht es mehrere Lösungsansätze, um solche Denk -und Verhaltensmuster zu durchbrechen.

Was sagen Lehrbetriebe?

In unserem Podcast Inside Berufsbildung, Folge 9 “Gibt es typische Frauen- oder Männerberufe?”, erzählt Thomas Gerber von Planzer AG, wie die Situation bei ihnen im Unternehmen aussieht. Sie bilden mit dem Strassentransportfachmann/-frau (ehemals Lastwagenfahrer:in) einen typischen Männerberuf aus. Ihnen gelingt es, erstaunlich viele Mädchen für den Lehrberuf Strassentransportfachmann/-frau EFZ zu begeistern.

Thomas Gerber verrät uns unter anderem, dass die Mädchen in diesem vermeintlichen "Männerberuf" oftmals die besten Abschlüsse vorweisen. Dies verdeutlicht, dass sich weibliche Lernende für diesen Beruf sehr wohl eignen. Der Beruf wurde früher eigentlich nur von Männern ausgeübt und das ist so noch in den Köpfen der Menschen gespeichert, was Mädchen auch daran hindern kann, sich letztendlich dafür zu bewerben. In den letzten Jahren wuchs aber der Prozentsatz der weiblichen Lernenden stetig bei Planzer AG. Das wachsende Interesse ist darauf zurückzuführen, dass sie einerseits viel investieren, um die Berufe bei Mädchen bekannt zu machen, andererseits hat es auch mit der Entwicklung des Berufs zu tun. Früher waren Reparaturen noch Sache der “Fahrer:innen”, was unter Umständen auch abschreckend war. Heute sind die Strassentransportfachmänner und -frauen nur noch die “Nutzer:innen” des Lastwagens.

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Wie können Lerbetriebe das andere Geschlecht für ihren Beruf gewinnen?

Hier einige Tipps, wie du Jugendliche von deinem Lehrberuf überzeugen kannst.

Testimonials nutzen 💌

Hast du eine Lernende in einem “Männerberuf” oder umgekehrt? Nutze diese Stimme(n) als Testimonial(s).

Informationsanlässe ℹ️

Insbesondere bei Schnupperlehren ist diese Massnahme ein sehr wirksames Instrument, damit Mädchen und Jungen einen ersten Schritt in geschlechtsuntypische Berufe wagen. Schnupperlehren ermöglichen es, ohne grosses Risiko einen geschlechtsuntypischen Beruf einmal auszuprobieren, wenn durch einfache Informationsmassnahmen im direkten Kontext einer Bewerbungsvorbereitung ein erstes Interesse an einem untypischen Beruf geweckt werden kann.

Berufsmessen 📣

Es gibt zahlreiche Berufsmessen in allen Regionen der Schweiz. Darunter findet sich ein vielfältiges Angebot von Tischmessen an Schulen, über kleine, regionale Messen bis hin zu den grössten Berufsmessen in Zürich, St. Gallen, Bern oder Basel. Firmen und Verbände, welche in diesen Regionen Lehrstellen anbieten, stellen sich mit einem Messestand vor, indem sie die Jugendlichen nicht nur über die Tätigkeiten in der Lehre informieren, sondern diesen die Möglichkeit geben, die Berufe hautnah und in der Praxis zu erleben.

  • Mädchen und Jungen können selber einige der Tätigkeiten aus dem Beruf ausprobieren und feststellen, ob ihnen dies liegt und sie es gerne machen. Man kann Informationen zu Beruf und Branche erhalten und alle wichtigen Fragen stellen.
  • Mädchen und Jungen haben die Gelegenheit, Kontakte mit Berufsbildenden zu knüpfen, bei denen sie sich vielleicht einmal bewerben wollen und bei diesen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Berufe vorstellen 💬 

Frage lokale Sekundarschulen an. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, deinen Beruf vorzustellen und so das andere Geschlecht zu erreichen.

Auf Mädchen zugeschnittene Berufsinformationen erhöhen die Bewerbungen von Mädchen in typischen Männerberufen: Mädchen, die Informationen zu Technik- und Informatik Berufen erhalten, die speziell auf die Informationsbedürfnisse von Mädchen zugeschnitten sind, bewerben sich im Schnitt erheblich häufiger auf diese Berufe als Mädchen, die keine solchen Zusatzinformationen bekommen. Solche gezielten Informationsmassnahmen sind insbesondere bei Schnupperlehren ein sehr wirksames Instrument, damit Mädchen einen ersten Schritt in geschlechtsuntypische Berufe wagen. 💡Speziell auf Mädchen zugeschnittene Informationen zu Technik- und Informatikberufen haben keinen Effekt auf die Bewerbungen von Jungen. Daraus folgt, es gibt keine abschreckende Wirkung von mädchenspezifischen Kurzinformationen auf die Jungen.

Bei Jungen reichen solche einfachen Informationen nicht aus: Zusatzinformationen zu Gesundheits- und Betreuungsberufen, die speziell auf Jungen zugeschnitten sind, haben keine Wirkung bezüglich der Bewerbungen in den genannten Berufen. Dazu zählen Beschreibungen von Gesundheits- und Betreuungsberufen mit Zusatzinformationen, die ebenfalls nicht den Stereotypen entsprechen (z.B. Hervorheben von Karrierechancen), Bilder sowie Videoausschnitte aus der Arbeitswelt der Berufe, auf denen auch männliche Lernende bzw. Vorbilder sichtbar waren.

Zukunftstage 🛰️ 

Der Nationale Zukunftstag ist einer der ersten Berührungspunkte von Jugendlichen mit verschiedenen Berufen. Förderst du diese Möglichkeit in deinem Unternehmen? Wenn nicht, solltest du das unbedingt machen. Wenn ein Schreiner seine Tochter mitnehmen kann oder eine Fachfrau Gesundheit ihren Sohn, dann kommen Sie erstmals geschlechtsneutral mit den jeweiligen Berufen in Kontakt. 

Mentoring-Programme 👩‍🏫👨‍🏫

Für die Entwicklung unserer Gesellschaft und den technologischen Fortschritt sind Mentoring-Programme eine wichtige und spannende Art, eine wachsende Anzahl interessierter Mädchen und Frauen für MINT-Berufe zu begeistern. Kurze Informationsmassnahmen mit weiblichen Vorbildern und nicht-stereotypischen Beschreibungen sind ein effektives Instrument, um das Interesse junger Frauen an MINT-Berufen zu steigern.Erklärung Begriff MINT-BerufeAbbildung 2: Infobox Mint-Berufe (Quelle: Eigene Darstellung 2023)

Welche Institutionen sind engagiert? 

Fazit 

Es gibt eine historisch bedingte Geschlechtertrennung in den Berufsfeldern, die nur langsam schwindet. Die Situation ist insofern problematisch, als dass im Hinblick auf gleiche Löhne typische Frauenberufe mit einem niedrigeren sozialen Status einhergehen und sie weniger Karrieremöglichkeiten bieten. Mit einer Angleichung der Geschlechtertrennung würden sogar männlich dominierte Berufe, die unter einem Fachkräftemangel leiden, langfristig profitieren. (Quelle: Swissinfo)

Wenn wir auch den Jungen alle Berufe öffnen möchte, genau wie man seit Jahren richtigerweise versucht den Mädchen alle Berufe zu öffnen, dann müssen wir als Gesellschaft zukünftig in beide Seiten (Männer und Frauen) gleichermassen investieren. Das erhöht auch das Matching am Arbeitsmarkt, wenn sich nicht jede:r Bewerber:in nur auf ihre oder seine Hälfte der Berufspalette beschränkt und die geschlechteruntypischen Berufe einfach ausschliesst.

Diese Entwicklung sollte unterstützt werden, da die Unterschiede nicht von Leistungsdifferenzen abhängen, sondern von einer kulturellen Sozialisierung und unzureichender Information. Wichtig ist es, beide Geschlechter in gleichem Mass zu fördern und ihnen alle Berufe nahe zu bringen, ohne Wertung. Nur so können Mädchen und Jungen ihre Kompetenzen, Interessen und Talente gleichermassen entwickeln. 

Statement Patricia PalffyAbbildung 3: Zitat von Patricia Palffy (Quelle: Eigene Darstellung)

 

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Robin Villoz

Robin arbeitet seit vielen Jahren in Bereich der Berufsbildung. Er weiss nicht nur wie die Jugendlichen nach Lehrstellen suchen sondern weiss auch, worauf Lehrbetriebe in der Rekrutierungsphase achten sollten für eine erfolgreiche Rekrutierung.

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